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14. Juni 2009

»Ganz schön geschmackvoll«

WELT am SONNTAG

Von Gisela Reiners. Wer Tomaten sucht, die nicht nur gut aussehen, sondern auch lecker schmecken, wird rund um Hamburg fündig: Hier züchten Betriebe alte Sorten oder bauen das Gemüse nach biologischen Richtlinien an.

Sie besteht zum größten Teil aus Wasser, und auch mit ihrem Nährstoffgehalt ist es nicht weit her. Aber dennoch ist die Tomate überaus beliebt, und das nicht nur, weil sie so hübsch rot ist. Denn sie schmeckt - wenn sie denn nach etwas schmeckt. Dass es da große Unterschiede gibt, wissen Jörn Meyer und Thomas Sannmann. Den beiden liegen Geschmack und Qualität der Tomate am Herzen. Der eine bietet viele Sorten an, darunter ganz alte und welche mit verschiedenen Farben, der andere nur wenige und nur rote, aber die zieht er biologisch-dynamisch nach den Regeln des Demeter-Landbaus.

In dem Ort Blomesche Wildnis bei Glückstadt baut Jörn Meyer seine Tomaten an - und zwar in der Erde. Das ist nicht selbstverständlich, denn andere Betriebe ziehen ihr Gemüse in Steinwolle, einem erdefreien Substrat, das sowohl als Dämmstoff im Hausbau als auch in der Hydrokultur verwendet wird. Aber bei Meyer stecken die Pflanzen in der Erde, allerdings zum Schutz vor Kälte und Wind in Gewächshäusern oder in Folientunneln. Alle lassen sich öffnen, sodass bei gutem Wetter Sonne und Luft das Wachstum fördern können.

Auch Thomas Sannmann zieht seine Pflanzen in der Erde. Die jedoch wird nach der Lehre des Anthroposophen Rudolf Steiner bearbeitet, das heißt umweltgerecht und ressourcenschonend. Sannmann betreibt seine Gärtnerei in Ochsenwerder. Dort hinterm Vierländer Elbdeich scheint die große Stadt ganz weit weg zu sein, doch das platte, fruchtbare Marschland gehört noch zu Hamburg.

Und zu Sannmanns Gärtnerei gehören etwa 30 Hereford-Rinder. Der Besucher staunt: Was haben Rinder mit Tomaten und anderem Gemüse zu tun? Sie gehören zum Kreislauf des bio-dynamischen Betriebs. Sie liefern zusammen mit kompostierten Pflanzenresten den Dünger für das Gemüse, zu dem auch Gurken, Auberginen, Lauchzwiebeln und Paprika, allerlei Salate, Kräuter und sogar essbare Blüten gehören. Chemie ist ein Fremdwort in einer Demeter-Gärtnerei.

Sannmanns Familie bewirtschaftet das Land seit vielen Generationen. Als seine Kinder geboren wurden, machte er sich Gedanken über die Bewahrung des Bodens und die Gesundheit seiner Familie und fand so zum bio-dynamischen Landbau. Er richtet sich nach den Jahreszeiten, deshalb gibt es im Winter bei ihm keine Tomaten. Das bedauern sicher viele der Anhänger seiner Cherry- und Eierstrauchtomaten sowie der Sorten Mirabell, Piluweri, Ruth und Vierländer Platte. Alle zeichnen sich durch einen intensiven Geschmack aus. Mal sind sie süßlich, mal kräftig, mal besonders schnittfest, mal mehr orange in der Farbe, mal leicht gerippt in der Form, aber immer aromatisch und natürlich gewachsen.

Die Gärtnerei Sannmann vermarktet ihre Erzeugnisse online (www.sannmann.com) und über den Hofladen in der Ochsenwerder Landstraße 153, wo es neben den leckeren Tomaten auch Bio-Pflanzen für Hobbygärtner gibt, sowie Fleisch, Eier, Milch und Brot. Am 25. Juli wird auf dem Hof das beliebte Tomatenfest gefeiert, bei dem selbst gepflückt werden darf.

Auch Jörn Meyer hat sich Gedanken über seinen Tomatenanbau gemacht, als er den Hof vom Vater übernahm. Der hatte sich auch schon bemüht, möglichst wenig Chemie einzusetzen. Wie Sannmann benutzt Meyer Hummeln zur Bestäubung der Pflanzen und bekämpft Schädlinge mit Nützlingen: Er setzt Raubmilben gegen Spinnmilben ein und Schlupfwespen gegen die Weiße Fliege.

Meyers Programm ist farbenfroh: Bei ihm gibt es die mahagonifarbene Japanese Black Trifle, die gelbe Plum Lemon, die rosa Ukrainische Birne, die braun-gelb-orange marmorierte Ananas Schwarz, die weiß-pink gestreifte Big White Pink, die rosarote Schlesische Himbeere, die dunkelbraune Noire de Crimée und die cremefarbene Great White - um nur einige zu nennen. Unter www.tomatenmitgeschmack.de sind sie als Pflanzen zu bestellen oder als Saatgut.

Anfang Juli werden die frisch geernteten Früchte, meist in Mischungen, verschickt. Auch auf manchen Wochenmärkten findet man Meyers Tomaten und in Hamburgs Spitzengastronomie. Thomas Martin vom "Louis C. Jacob" wartet schon auf die neue Ernte, um weiße Tomatenmousse, grünen Chutney oder ein Carpaccio von der Ochsenherztomate, einer der besten Sorten, seinen Gästen auf die Teller zu komponieren. "Es gibt Tausende von Sorten", sagte Meyer. "Ich habe mir ein paar interessante herausgesucht." Bei seiner Anbauweise sei der Ertrag nicht gerade übermäßig, "aber dafür macht es Spaß." Wenn keine Tomaten reif sind, also zwischen Oktober und Juni, baut er Kartoffeln, Kohlrabi, Blumenkohl und Kürbisse an.

Die Tomate hat Europa den Azteken und Mayas zu verdanken. Das Nachtschattengewächs ist erst seit etwa 1900 in Deutschland als essbar bekannt. Vorher galt es als Zierpflanze. Die meisten Tomaten baut mit 31 Millionen Tonnen China an, in Europa Italien mit 7 Millionen. Holland bringt es nur auf 0,6 Millionen Tonnen "schnittfestes Wasser", wie böse Zungen lästern, aber dafür liegt es in der Ertrag-pro-Hektar-Statistik mit 500 Tonnen an der Spitze.

Um solche Zahlen kümmert sich die Bio-Gärtnerei Rohde bei Rostock nicht. Sie verkauft ihre schönen alten Tomatensorten an Sterne-Koch Tillmann Hahn vom "Butt" in Hohe Düne. Der füllt sie und backt sie im Ofen, paniert Scheiben und brät sie in der Pfanne oder schnibbelt die bunten in einen Salat mit kalt gepresstem Rapsöl und Balsamico. Wer mag angesichts solcher Genüsse noch seine Tomaten im Supermarkt kaufen?