29. Juli 2009
Sortentag 2009 in der Gärtnerei Sannmann
Absolut resistente Pflanzen sind „Sackgassen“ und „Problemträger“.
Von Andrea Madadi. Der zweite ÖKOmenische Sortentag Norddeutschlands am Mittwoch, den 29. Juli 2009, in der Demeter Gärtnerei Sannmann stand ganz im Zeichen des „falschen Mehltau“ auf Salaten. Dazu eingeladen hatte Klaus Kopp von der Bingenheimer Saatgut AG, der die Veranstaltung moderierte. Mit dabei als Experte für die Bingenheimer Saatgut war Andreas Wisbar und als Gastrednerin, Ulrike Behrendt, die in ihrem Betrieb „Oldenburger Saatzucht“ auf Salat- und Tomatenzüchtungen spezialisiert ist.
»Aber der Mehltau will auch leben.«— Züchterin Ulrike Behrendt
Über 40 Bio-Gärtner und Erzeuger folgten interessiert den Ausführungen der Züchterin Ulrike Behrendt, die im Rahmen der Biologischen Bundesanstalt ein Projekt zur Erforschung der Mehltau-Problematik betreut. Hintergrund der Forschungsarbeit ist eine rasante Rassen-Entwicklung des Mehltaupilzes. Diese Entwicklung ist in den letzten Jahrzehnten durch Erzeuger gefördert worden, die bevorzugt vertikal-mehltauresistenten Salat angebaut haben. Vertikale Resistenzen bedeuten, dass unter allen möglichen Umwelt-Bedingungen kein Mehltau auftritt, dagegen besitzen Salate mit horizontaler Resistenz eine gewisse Feldtoleranz mit einem evtl. Befall von ca. 10 Prozent. „Aber der Mehltau will auch leben“, meinte Ulrike Behrendt. Deshalb bildet der Pilz bei vertikaler Resistenz schneller neue Rassen mit großer Virulenz, die auch alle bisher resistenten Salate im kompletten Bestand vernichten können. Mittlerweile sind 26 verschiedene Mehltaurassen bekannt, Tendenz steigend.
Im Mehltau-Forschungs-Projekt von Ulrike Behrendt mit dem Julius Kühn Institut und dem Verein Kultursaat, sucht die Züchterin nach feldtoleranten Salatsorten im Bereich Batavia und Kopfsalat. Die Forscher haben sich auf feldtolerante, bzw. horizontal resistente Salatsorten geeinigt, weil davon ausgegangen wird, dass bei diesen Sorten der Mehltau einen gewissen Existenz-Spielraum hat und nicht noch mehr neue Rassen bildet.
Die drängende Frage, welche Pflanzen unter welchen Bedingungen überhaupt Mehltau bekommen, beantwortet Ulrike Behrendt mit einem ganzen Katalog: Stark gefährdet sind Monokulturen, also Groß-Bestände, schwache Pflanzen, Kopf- und Römersalat. Dagegen bekommen Pflanzen in ausgeglichenen Verhältnissen weniger und Sorten wie der Lollo Rosso so gut wie nie Befall. Ausschlaggebend sind auch klimatische Bedingungen wie Regen und Wärme in bestimmten Verhältnissen – so spült sehr viel Regen die Pilz-Sporen weg, während ein trockenes Frühjahr und ein feuchter Sommer den Mehltaubefall eher begünstigen. Wichtig ist der Züchterin, auf die Faktoren für eine gute Gesundheit der Pflanze zu schauen unter dem Aspekt: Was kann die Pflanze dem Mehltau etc. entgegensetzen?
Dazu führt Ulrike Behrendt in Zusammenarbeit mit dem Julius-Kühn-Institut in fünf Betrieben, die über ganz Deutschland verteilt sind, Standortversuche durch, u. a. mit Vliesabdeckung, Reihenabstand, Rassenanalysen, Formenvielfalt. Erste Ergebnisse zeigen, dass die Mehltau-Problematik regional sehr verschieden und der Befall oft nicht kalkulierbar ist. Mit einbezogen werden müssen u. a. die Bodenverhältnisse, Art der Düngung, Bewässerung, Pflanzhöhe und -tiefe und spezielles Sortenverhalten: So wachsen z. B. Batavia-Salate dem Mehltau davon; der bleibt dann in den unteren Blättern, die nicht mit geerntet werden.
Zum derzeitigen Forschungsstand ist das Fazit der Züchterin Ulrike Behrendt, dass sich über Resistenzen immer neue Problematiken entwickeln und vertikale, also Absolute Resistenzen bei jeder Sorte eine Sackgasse bedeuten. Als Tipp und Bitte für Gärtner und Erzeuger empfehlen Ulrike Behrendt und Klaus Kopp auf feldtolerante Sorte zurückzugreifen und vor allem so viel wie möglich am eigenen Standort auszuprobieren. Diese Standortversuche mit mindestens drei Salatsorten sollten über einen längeren Zeitraum laufen und die Ergebnisse oder Beobachtungen der Bingenheimer Saatgut oder dem Verein Kultursaat zugänglich gemacht werden.
Auf dem anschließenden Rundgang mit den Gästen durch die Gärtnerei Sannmann erzählten Thomas Sannmann und Markus Walkusch-Eylandt über die Standortanpassung der angebauten Bingenheimer Sorten, die Versuchsreihen mit Züchtungen der Bingenheimer Saatgut und die eigene Saatgutvermehrung mit der Möhre Mona, Löwenzahn-Salat oder der regionalen Spezialität Vierländer Platte.
Mittels Standortanpassung möchte Gärtnermeister Thomas Sannmann gemeinsam mit Züchterin Christina Henatsch eine Hofmöhre entwickeln. Im Gewächshaus reifen gerade drei Reihen Saatgut der Sorte Mona heran. Fast mannshoch aufgeschossen sind die Möhrenpflanzen mit vollen breiten Korbblüten, in denen das Saatgut reift. Später wird Christina Henatsch die Samen reinigen, trocknen, sortieren und mehrere Kilogramm Saatgut gewinnen. Wichtig ist die Pflanzung im Gewächshaus, da im Freiland zu leicht Einkreuzungen z. B. mit wilden Möhren passieren, betont Klaus Kopp und beantwortet damit gleich die Frage einiger Gäste, für die Möhren doch aufs Feld gehören. Bei der Rauke erzählt Klaus Kopp von den langwierigen Züchtungsbestrebungen später blühende Raukesorten zu bekommen und gibt den Gärtnern Tipps welche Sorten sich bei der Weitervermarktung gut in Tüten halten.
»Wenn Ihr keinen Spinat mehr habt, schmecken die Bete-Blätter genauso lecker wie Spinat und sehen dabei interessanter aus.«— Gärtnermeister Thomas Sannmann
Ein gutes Beispiel für Vielfalt im Sorten-Verhalten ist die Rote Bete. Hier decken verschiedene Sorten unterschiedliche Nachfragen ab: Die Rote Bete Sorte Robuschka eignet sich besonders für die Kilo-Vermarktung, die Sorte Boltardy ist fein im Blatt und gut als Beta-Salat geeignet oder als zarte Bund-Ware. „Und wenn Ihr keinen Spinat mehr habt, schmecken die Bete-Blätter genauso lecker wie Spinat und sehen dabei interessanter aus“, empfiehlt Thomas Sannmann. Von einer gelungenen Vermarktung feiner Wildsalate berichtet Sorten-Experte Klaus Kopp: „In Süddeutschland wurde einer Gärtnerin, die oft Infekte hatte, vom Arzt empfohlen, viel Salate wie Red Giant und Mizuna Rübstiel zu essen, weil diese einen antibiotischen Effekt hätten. Das wirkte sehr stärkend auf ihre Gesundheit. Daraufhin hat die Gärtnerin den Salat, der vorher nur wenig bei den Kunden ankam, als natürliches Antibiotikum vermarktet und damit einen großen Erfolg gelandet.“
Im Tomatengewächshaus erfahren die Gäste wie wichtig die Düsenberegnung für ein lebendiges Bodenleben ist. Wenn der Boden schön nass ist, werden die Regenwürmer rege und die Tomaten können im lockeren Boden viele Wurzeln bilden. Bei Tropfbewässerung trocknet der Boden oft so aus, dass die Regenwürmer in Trockenstarre fallen. Eine bewährte Besonderheit in der Tomatenpflege ist in der Gärtnerei Sannmann die Graseinsaat in den Gängen zwischen den Tomatenpflanzen und das Mulchen der Tomatenpflanzen mit Grasschnitt. Beides verhindert die Austrocknung und fördert die Wurzelbildung – die Pflanzen können mehr Nährstoffe aufnehmen und bleiben länger gesund. Thomas Sannmann hat verschiedene Tomatensorten von Bingenheim im Versuchsanbau, u. a. die „Namenlose“ Demeter Tomate UB 3-5 gezüchtet von Ulrike Behrendt. Klaus Kopp erklärt, dass erst im Versuchsanbau gesehen werden kann, ob eine Tomatensorte anbauwürdig sein wird, weil unmittelbar Gesundheit, Ertrag, Wuchseigenschaften und Geschmack beobachten werden können. Zum Beispiel hat es sich als Problem herausgestellt eine Demeter Tomatensorte zu züchten, die gleichzeitig super im Geschmack wie im Ertrag ist. „Bisher geht nur entweder oder“ ist hier das Fazit der Experten. Trotzdem hat in der Gärtnerei Sannmann die Massenertragssorte KS-RS-01 von Piluweri, eine Demeter-Züchtung, beim Tomatengeschmackstest auf dem Tomatenfest 2009 in der Kategorie der großen Tomaten den vierten Platz von 11 Sorten in der Publikumsgunst belegt.
»Wir brauchen dringend standortangepasste Sorten und viele Gärtnereien, die die Sorten in ihrem Betrieb anbauen.«— Klaus Kopp, Bingenheimer Saatgut AG
Nach dem umfangreichen Rundgang im Freiland vorbei an Feldern und Folientunnel mit Kräutern, Zucchini, Möhren, Lauchzwiebeln und Salaten stärken sich die Gäste mit Kaffee und Kuchen. Im Gespräch und Erfahrungsaustausch wird schnell klar, wo der Hase im Pfeffer liegt: In jeder Gärtnerei ist es anders. Deshalb plädiert Klaus Kopp von der Bingenheimer Saatgut bei den Gärtner dafür, auszuprobieren, welche Sorten vom Geschmack, Ertrag, Gesundheit und Vitalität in die eigene Gärtnerei passen. Nicht jede Sorte geht auf jeden Standort, ist seine Feststellung. „Wir brauchen dringend standortangepasste Sorten und viele Gärtnereien, die die Sorten in ihrem Betrieb anbauen“, so Klaus Kopp. Deshalb ist auch die Rückmeldung der Gärtner und Erzeuger über das Verhalten der Sorten so wichtig. Züchtungs- und Versuchsarbeit ist langwierig – so kommen z. B. die Sorten, die vor 10 Jahren gezüchtet wurden, erst jetzt in den Anbau. Mit der intensiven Arbeit an samenfesten Sorten in Demeter Qualität und einer guten Vernetzung aller Beteiligten wollen die Bingenheimer Saatgut und der Verein Kultursaat auch ein starkes, unabhängiges Gegengewicht schaffen gegen gentechnisch verändertes Saatgut der Konzerne wie Monsanto, Pioneer und Co.